»Wider Willen musste Gerda lachen. „Ich bin überzeugt davon, dass dein Vater den Fall kurz über lang lösen wird.“ Anne schaute sie von der Seite an. Ihr Blick war unvermutet ernst. „O ja“, sagte sie. „Da wird er.“«
– Gespräch Gerda und Anne, Gerechtigkeit, Position 1997 von 6920
By the pricking of my thumbs, something wicked this way comes“. Der Satz der Hexen aus Macbeth lässt Kommissar Falin nicht mehr los. Ganz in der Nähe des Hauses, das er gerade gekauft hat, wird das unter einer Betonplatte versteckte Skelett einer Frau gefunden. Trotz seines Urlaubs beginnt Falin zu ermitteln. Etwas Böses liegt über der Gegend, es zieht im Wasser des Fleets, an dem sein Haus liegt, entlang, weht über die brachliegenden Felder und hängt wie eine düstere Erinnerung in dem Geäst der noch kahlen Bäume, gleich den Krähennestern vom vergangenen Jahr. Kommissar Falin läßt nicht locker auf der Suche nach der Wahrheit, die wie Fluch aus der Vergangenheit die Gegenwart der Menschen um ihn herum beeinflusst. „Es muss doch Gerechtigkeit geben.
Wer Blut, Tod und einen gigantischen spektakulären Fall mit viel Action erwartet, wird hier sicherlich seine Probleme haben, aber ich empfand es als sehr erfrischend, dass der Fall auf einer „Normalsterblichen“ Ebene verläuft. Denn man fiebert dadurch auf eine ganz andere Art mit. Es ist etwas, was durchaus in der Nachbarschaft passieren kann. Ermitteln wird in dem Buch auf jeden Fall groß geschrieben.
Die Charaktere bekommen ihre Zeit sich zu entwickeln und eine eigene Geschichte zu erzählen. Man entdeckt ihre Bedenken und Gedanken und beginnt so die Ereignisse gemeinsam mit Falin zu verknüpfen. Das hat einem das Gefühl gegeben, gemeinsam mit Falin am Fall zu arbeiten.
Auch, Falin als Polizist gefällt mir sehr gut. Er hat seine eigenen normalen Probleme neben der Arbeit und besitzt dennoch oder gerade dadurch eine unglaubliche Ruhe bei der Fallaufklärung. Trotz erfährt man nach und nach, dass er als Polizist auch schon einige miterlebt hat und wird auch schon für den nächsten Band getriggert. Außerdem besitzt er den Sturkopf eines guten Ermittlers, als der Fall eigentlich schon gelöst ist, auch die letzten dunklen Ecken aufklären zu wollen. Sympathisch machte es ihn auch, dass er über die eine und andere Anweisung oder dienstlichen Ablauf hinwegsieht, um den Leuten zu helfen. Davon abgesehen, finde ich Anne mit ihrer Naturliebe und ihrem Selbstbewusstsein echt super. Und dass nicht nur, weil sie Namensvetter ist.
Mir fiel es zu Beginn etwas schwer, die Vielzahl an Charakteren und Namen im Kopf zu behalten. Da häuft sich eine unglaubliche Menge an, weil einem Falins neue Heimat im Grunde einmal komplett vorgestellt wird. Das überrennt einen etwas, auch, weil die Handlung anfangs ebenso springt wie die Sichten zwischen den Charakteren. Allerdings gibt sich das schnell und man ist gezwungen, das Buch nicht zu lang aus den Händen zu legen.
Das Cover ist eher unscheinbar, aber wer sich davon nicht beirren lässt, findet hier eine interessante Geschichte. Ein eher ruhigerer Kriminalroman, was mich persönlich sehr angesprochen hat. Den Figuren wird viel Zeit gegeben, sich zu entwickeln und es sind eher die eigenen Dämonen dieser, die hier die Spannung schüren.
Mir hat es Spaß gemacht, die vielen Sichten zu verfolgen, zu erfahren, was jeden beschäftigt und das am Ende zu einem Ganzen zu verknüpfen. Man hat mit Falin gemeinsam versucht, die fehlenden Eckpunkte zu finden und sich alles zusammen zu reimen. Die vielen Namen und Figuren haben einen vor die gleiche Herausforderung gestellt, wie Falin: erkennen, merken, versuchen in den Fall einzuordnen.
In der aktuellen Version sind noch einige Rechtsschreibfehler zu finden, aber daran wird im Hintergrund wohl bereits mit einem Lektorat gearbeitet.
Von daher spreche hier sehr gerne eine Leseempfehlung aus und erwarte mal den angekündigten Band 2.
Gerechtigkeit, Christian Wagnon, Covergestaltung: Atelier Najake, Frankfurt/Main, 2020, Ausgabe 2020