Schon im jungen Kindesalter wird Tenar dazu auserkoren, die wiedergeborene Priesterin zu werden, einer Hohepriesterin, die als oberste Geweihte den Namenlosen dient, einem dunklen Götterkollektiv. Mit dem Tod einer Hohepriesterin wird im ganzen Land nach einem Mädchen gesucht, das in derselben Nacht geboren wurde und als neue wiedergeborene Priesterin das Werk ihrer Vorgängerinnen fortsetzt; jede dieser Priesterinnen nimmt den Namen Arha an, denn im Glauben der Menschen des Kargad-Reiches wird Arha wahrhaft wiedergeboren, mit jedem Lebenszyklus in einem neuen Körper.
Tenar wächst als Arha in der Tempelstadt Atuan auf, wo sie zwar streng erzogen, jedoch schon von Kindesbeinen an mit Macht und Entscheidungsgewalt ausgestattet wird. Bis auf Eunuchen ist Männern das Betreten der Grabanlagen, dem Kern Atuans, verboten, und einige innere Bereiche des Labyrinths sind sogar allen Menschen bis auf Arha untersagt. Kein Licht darf in den unteren Bereichen des Labyrinths entzündet werden, denn Arha dient Göttern der Dunkelheit, und so muss sie blind und auswendig jeden Winkel der unterirdischen Grabstätte auswendig kennen, um sich nicht hoffnungslos zu verirren.
Wer jedoch gegen die Regeln Atuans verstößt oder gar versucht, in die Anlagen einzudringen und etwas von dem wohl gehüteten Schatz im Inneren des Labyrinths zu stehlen, den erwartet der Tod. Eine der wichtigsten Aufgaben Arhas ist es, über den Tod derer zu entscheiden, die unerlaubt nach Atuan vordringen. Und so muss Arha über den Tod dreier Männer bestimmen, die sie verdursten, verhungern und schlussendlich verscharren lässt, wie es ihre Pflichten verlangen.
Ganz unangefochten ist die Herrschaft Arhas in Atuan jedoch nicht. Die Priesterin Kossil, die dem Gottkönig dient, dem Herrscher des Kargad-Reiches, vertritt ihre eigenen Interessen, und mit ihr gerät Arha regelmäßig in Streit. Gleichzeitig wacht Kossil jedoch auch darüber, dass Arha ihren Pflichten nachkommt, während sie als Augen des Gottkönigs dient.
Eines Tages schafft es jedoch ein Zauberer der Inselreiche, unbemerkt in die unterirdische Tempelanlage einzudringen – unbemerkt von jedem, abgesehen von Arha. Sie, die Zauberer nur aus Geschichten kennt, beschließt, den Fremden nicht töten zu lassen, sondern ihn zu beobachten. Vor sich selbst rechtfertigt sie die Verletzungen ihrer Pflichten damit, dass sie den Zauberer für seine Schandtat bestrafen und Qualen erleiden lassen möchte, und so schließt sie ihn in den Gräbern ein, ohne Wasser, ohne Nahrung.
Bei dem fremden Zauberer handelt es sich selbstverständlich um Ged. Mit der Zeit nähert sich Arha jedoch Ged an, und langsam beginnt sie zu begreifen, dass kaum etwas der Wahrheit entspricht, was sie in Atuan gelernt und zu hören bekommen hat.
Mit Die Gräber von Atuan setzte Le Guin ihre Reihe um den Magier Ged fort. Dabei steht Die Gräber von Atuan in einem spürbaren Gegensatz zum ersten Band der Reihe, Der Magier der Erdsee: Wo Der Magier der Erdsee sich eher von den Charakteren entfernt und sehr viel Handlung auf sehr wenigen Seiten vermittelt, nähert sich Le Guin in Die Gräber von Atuan stark ihren Charakteren an. Der legendenhafte Zug, welcher Der Magier der Erdsee noch anhaftet, fehlt in Die Gräber von Atuan gänzlich. Gleichzeitig ist der zweite Band jedoch deutlich einfacher zu lesen, entspricht den Schreibstil entsprechend mehr dem Geschmack einer modernen Leserschaft. Jedoch fühlt sich die Handlung gerade im Vergleich zu Der Magier der Erdsee enorm ausgedünnt an; nur wenig handlungsrelevantes geschieht auf den 180 Seiten des kürzesten Romans der Reihe. Le Guin beschäftigt sich erheblich mehr mit dem Alltag und der späten Kindheit Arhas, als eine reichhaltige Handlung aufzubauen. Zwar schafft sie es, die bestehende Handlung interessant auszubauen und darzustellen, jedoch empfindet es der Leser, als wäre ihm nur ein halber Roman, ein Buch ohne wahren Höhepunkt präsentiert worden.
Die Gräber von Atuan scheinen als Auftakt für den dritten Band zu dienen, Das ferne Ufer. Als solcher erfüllt der Roman auch seinen Zweck; Le Guin schreibt trotz Stilwechsel gewohnt gut, nun mit deutlich stärkerer Betonung ihrer Charaktere, die sehr viel zugänglicher und leichter nachzuempfinden sind als in Der Magier der Erdsee. Für sich allein genommen fühlt sich Die Gräber von Atuan jedoch aufgrund der dünnen Handlung eher als ungenügend an. Lust auf Ged, Arha und Erdsee weiß Band 2 durchaus zu schaffen, und so bleibt die Hoffnung, dass Band 3 wieder das hohe Niveau von Der Magier der Erdsee zu treffen weiß.
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